👤 Marketing in der Ego-conomy
Ich vor Wir. Wie Ego, Nutzen und Identität den Konsum der Zukunft prägen. Woher der Trend kommt, und was es für erfolgreiche Marketingstrategien und Green Marketing bedeutet.
Hallo 👋 mein Name ist Florian Schleicher und das ist der FutureStrategies Newsletter von FUTURES. Schön, dass du mitliest 💚
“Warum sollte genau ich diesen Newsletter lesen?”
Das ist vielleicht die Frage, die du dir jetzt beim Lesen des Titels stellst.
Und das ist genau das Thema, über das ich heute schreiben will:
Dem Trend danach, immer nach eigenen und oft unmittelbaren Vorteilen zu suchen.
Immer mehr Umfragen zeigen, dass KonsumentInnen dem Preis, der Bequemlichkeit und dem persönlichen Nutzen Vorrang vor sozialen oder ethischen Erwägungen einräumen - vor allem in Zeiten wirtschaftlichen Stresses.
Eine multinationale Umfrage unter 4.000 KonsumentInnen in Europa ergab, dass die Preissensibilität seit der Zeit vor der Pandemie um ~5 % gestiegen ist, während traditionelle Faktoren wie Produktqualität und Bequemlichkeit leicht an Bedeutung verloren haben.
Angesichts der hohen Inflation und der angespannten Haushaltslage sind die Verbraucher zunehmend bereit, Kompromisse bei der Qualität oder Markentreue einzugehen, um Geld zu sparen.
Und auch Nachhaltigkeitsbestrebungen sind davon betroffen:
“Consumers are increasingly opting for affordability over sustainability in their purchasing decisions, preferring cheaper alternatives as financial pressures hit household budgets.”
Es ist auch sehr gut verständlich: Wenn der Geldbeutel knapp ist, werden ethische oder umweltfreundliche Entscheidungen, die sich nicht unmittelbar auszahlen, oft beiseite geschoben.
Das zeigt uns vor allem eines:
KonsumentInnen werden immer egoistischer.
Kosten-Nutzen-Denken steht im Vordergrund, und wir leben in einer immer mehr transaktionalen Welt - was wir auch in Trumps geo-politischer Gestaltung erleben.
Der erste Gedanke vieler Menschen ist daher oft:
“Was habe ich davon?”
KonsumentInnenverhalten wird immer mehr von Ego und Selbstidentität beeinflusst.
Menschen wählen Marken oft nicht nur aufgrund ihres Nutzens, sondern auch aufgrund dessen, was diese Marken über sie aussagen. Die „Theorie der Selbstkongruenz“ besagt, dass VerbraucherInnen sich zu Marken hingezogen fühlen, die ihr ideales Selbstbild widerspiegeln.
Zum Beispiel werden Luxusmarken wie Rolex oder (bis vor kurzem) Tesla als Symbole für Status und Erfolg gewählt, nicht nur wegen ihres funktionalen Werts.
Sobald der persönliche Vorteil verschwindet, bricht die Kaufbereitschaft zusammen. Das können wir gerade jetzt am Einbrechen der Tesla-Verkaufszahlen sehen: Das Auto ist das Gleiche, wie vor Elon Musks Regierungsbeiträgen. Aber der persönliche und emotionale Wert hat sich verändert.
Werfen wir also einen Blick auf:
Datenpunkte
Den Ursprung des Trends
Was das für Marketing bedeutet
Empfehlungen für Marketingstrategien
Die Herausforderung für Nachhaltigkeit
📊 Datenpunkte
Die Top Marken einer Havas Studie performen 57% besser, was die Kommunikation persönlicher Vorteile angeht. Ihre Aktien performen 200% besser.
71% der KonsumentInnen ist der Meinung, dass Unternehmen ihnen helfen sollen, ihr eigenes persönliches Wohlbefinden und ihre Gesundheit zu verbessern.
69% der Unternehmen haben Strategien, um Vorteile im Austausch für persönliche Daten anzubieten. Das bedeutet, dass KundInnen explizit wissen wollen, was sie davon haben, bevor sie ihr Vertrauen oder ihre Daten preisgeben - seien es Rabatte, VIP-Zugang oder ein reibungsloseres Erlebnis.
Der Mehrheit fehlt es an Optimismus für die nächste Generation. Nur 36 Prozent der Befragten glauben, dass es der nächsten Generation besser gehen wird. In den Industrieländern sieht nur eine von fünf eine bessere Zukunft.
71% der VerbraucherInnen erwartet, dass Unternehmen personalisierte Interaktionen anbieten. 76% sind frustriert, wenn dem nicht der Fall ist.
“Over the last 15 years, we've commissioned research into what makes a brand really meaningful. What we've seen in the data is that actually there's a big shift back towards a personal lens on everything,”
Joanna Lawrence, Global Chief Strategy Officer at Havas Media Network
🗝️ Ursprung des Ego-conomy Trends
Aus meiner Sicht hat diese Bewegung zur Ego-conomy und dem damit einhergehenden Egoismus mit der Covid19 Pandemie begonnen. Die Auslöser: Unsicherheit gepaart mit einem Rückzug ins und der Aufwertung des eigenen Zuhauses - oder wie The Economist es nennt - “Hermit Consumer”. Dann anhaltende geopolitische Konflikte in Osteuropa, noch mehr Unsicherheit, Teuerungswellen und damit Einschränkungen in persönlichen Budgets.
Dieses Umfeld hat Menschen als Individuen dazu veranlasst, ihr persönliches Wohlergehen und ihre Sicherheit in den Vordergrund zu stellen, oft auf Kosten gemeinschaftlicher Überlegungen.
Wirtschaftliche Schwankungen wie Arbeitsplatzabbau und Marktvolatilität haben zu einem Rückgang des Verbrauchervertrauens und der Ausgaben geführt.
Diese Entwicklung lässt sich auch kulturell beobachten:
Adrien Cadiot beschreibt in seinem Midyear Report das Aufkommen einer neuen sozialen Ordnung, die Ingo Niermann als The Monadic Age bezeichnet – eine Ära des Rückzugs in Isolation, Selbstgenügsamkeit und egozentrische Identitätsräume. In einer solchen Weltstruktur ist es nur logisch, dass Marken dann funktionieren, wenn sie das Ich stärken – nicht das Wir.
Wir sehen einen verstärkten YOLO Effekt:
KonsumentInnen fühlen sich berechtigt, hier und jetzt selbst zu belohnen („Ich habe das verdient“) und stellen das unmittelbare persönliche Wohlbefinden über langfristige oder kollektive Überlegungen.
„Our society has become one in which people feel licensed to give their selfishness free rein.“ 
Die Psychologie bestätigt dieses Muster: Bei Angst und Ungewissheit konzentrieren sich Menschen oft auf Selbsterhaltung und Selbstbelohnung als Bewältigungsmechanismen.
In der Praxis bedeutet das, dass Kaufentscheidungen stark von egozentrischen Motiven geleitet werden: Werde ich dadurch glücklicher, gesünder oder reicher? Wenn nicht, hat es eine geringere Priorität.
Alles wird durch die Brille des “Ichs” beurteilt.
Die These lautet also:
“Wenn ich egoistisch handle, dann bekomme ich eher mein wünschenswertes Ergebnis.”
Dieser zunehmende Egoismus ist also aus meiner Sicht kein Egoismus an sich.
Es ist eine Reaktion auf das Gefühl der Machtlosigkeit, das zu Hyperindividualismus führt.
Menschen tauschen ihre gemeinschaftliche Identität gegen persönliche Souveränität ein. Es geht weniger darum, dass „ich mich nicht um andere kümmere“, sondern vielmehr darum, dass „ich nicht darauf vertraue, dass sich jemand anderes um mich kümmert“.
📣 Was bedeutet die Ego-conomy für unser Marketing?
Menschen erwarten immer mehr persönliche Relevanz in allen Bereichen - vom Einkauf bis zum Wahlkampf - und sie belohnen Organisationen, die diese Erwartungen erfüllen. So gewinnen Marken, die erfolgreich „den Zweck mit dem Fokus auf KundInnen verbinden“, an Loyalität und Begehrlichkeit.
Kluge Unternehmen und politische EntscheidungsträgerInnen erkennen, dass der Zweck persönlich werden muss: Jede Kampagne findet nur dann Anklang, wenn sie eine klare Antwort auf die Frage „Was hat die KundIn/WählerIn davon?“ gibt.
Marketingverantwortliche können diese Erkenntnis nutzen, um Kommunikationsstrategien zu entwickeln, die das Eigeninteresse der VerbraucherInnen mit umfassenderen Zielen in Einklang bringen.
Marken nutzen das Ego, indem sie VerbraucherInnen das Gefühl geben, etwas Besonderes zu sein, bestätigt zu werden und Teil einer exklusiven Gruppe zu sein - so werden Produkte zu mächtigen Instrumenten der Selbstdarstellung und sozialen Signalgebung.
Für die Markenstrategie heißt das: Relevanz schlägt Reichweite. Für Kampagnen: Botschaften müssen im Leben der KonsumentInnen andocken, nicht im Purpose-Manifest der Marke.
Ein praktisches Denkmodell dazu gibt es aus der Kommunikationstheorie:
Die Zwei-Faktoren-Theorie von Frederick Herzberg
Wie der Name schon sagt, unterscheidet das Modell zwei Arten von Einflussgrößen:
Hygienefaktoren: Grundlegende Erwartungen wie Produktqualität, KundInneenservice und faire Preise. Diese Faktoren motivieren zwar nicht zum Kauf, aber ihr Fehlen kann zu Unzufriedenheit führen.
Motivatoren: Elemente, die das Engagement der KonsumentInnen wirklich antreiben, wie Markenprestige, einzigartige Erfahrungen und persönliche Relevanz. Die Konzentration auf diese Elemente kann die KundInnenzufriedenheit und -treue erhöhen.
Ursprünglich für interne Kommunikation entwickelt, kann uns dieses Modell auch helfen, egoistische Treiber stärker zu identifizieren. Denn Käufe geschehen nicht, wenn keine Gründe für Unzufriedenheit vorliegen.
Es braucht Motivatoren - und die werden gerade immer egozentrischer.
♟️ 3 Marketingempfehlungen für die Strategie
1️⃣ Status + Nutzen
KundInnen kaufen, um zu zeigen, wer sie sind, und was sie wollen. Marketing sollte also nicht primär auf Funktionalität zielen, sondern auf Identität und Emotion. Produkte werden zur Bühne für Status, Erfolg und Selbstdefinition. Wer den Wunsch nach sozialer Abgrenzung und persönlichem Aufstieg versteht, kann Marken als Symbole für Zugehörigkeit zu einer besseren Lebenswelt positionieren. Die Kampagne des Ritz-Carlton “Leave Better” macht genau das.
“We are thrilled to introduce the Leave Better campaign, which reflects our commitment to not only honoring our heritage as a luxury hospitality icon, but embracing the desires of our discerning guests.”
Jamie Kerr, senior director of global marketing at The Ritz-Carlton
2️⃣ Individualisierung gewinnt
Menschen wollen heute als Individuen gesehen werden – nicht als Zielgruppen. Maßgeschneiderte Angebote, personalisierte Inhalte oder individuell gestaltbare Produkte befriedigen das Bedürfnis nach Bedeutung und Sichtbarkeit. Marketingstrategien, die das Ego direkt ansprechen, erzeugen emotionale Nähe und binden über das Gefühl: „Diese Marke versteht genau mich.“
Slogans wie “You Deserve It” or “Look Better, Feel Better” sprechen genau diese egoistischen Züge und Bedürfnisse an.
Apple macht das seit Jahrzehnten mit ihrem Fokus auf Individualismus in Produktnamen und Kampagnen.
3️⃣ Von Innensicht zu Außensicht
Brand Messaging wird heutzutage dann wirksam, wenn es das Selbstbild der Zielgruppe widerspiegelt. KundInnen suchen nach Marken, die sich mit ihrer Idealversion verknüpfen lassen. Deshalb: Weniger „Was wir als Marke glauben“ – mehr „Wer du durch uns sein kannst“. Marken werden zur Projektionsfläche für ein besseres Ich – und sind dann am stärksten, wenn sie nicht bekehren, sondern bestätigen. L’Oréal’s macht das, indem sie “Because You’re Worth It” kommunizieren - ganz auf das Selbst bezogen.
Möchtest du diesen Trend für deine Marke nutzen?
Erzähl mir mehr von deinen Überlegungen, gerne gestalte ich eine Strategie Session voller Insights, Inspiration und Ideen spezifisch für dich und dein Unternehmen.
🌳 Sustainability challenge
Nachhaltigkeit WAR im Trend.
2019 war es das Top 1 Thema, mit Protesten auf der Straße und einem immer gesellschaftsfähigerem Konsens, dass die Klimakrise unsere volle Aufmerksamkeit braucht.
Dann kam die Covid19 Pandemie.
Dann geopolitische Unsicherheiten und Wirtschaftskrisen.
Jetzt haben KonsumentInnen dringendere und egoistischere Bedürfnisse.
Nachhaltigkeit nur als Selbstzweck ist nur für wenige Menschen attraktiv.
Mehr als ein Drittel der Befragten einer globalen Studie sagen, dass Unternehmen „zuerst ihre individuellen Bedürfnisse befriedigen sollten, bevor sie eine größere Rolle in der Gesellschaft übernehmen“.
Mit anderen Worten: Sie erwarten, dass Marken den persönlichen Nutzen für sich als Individuum vor das gesellschaftliche Wohl stellen.
Nachhaltigkeit muss jetzt pragmatisch sein. Sie muss auf Wirtschaftlichkeit und Hard Facts abgestimmt sein (wie das funktioniert, habe ich hier beschrieben). Denn wichtig bleibt sie nach wie vor, und sie wird der Überlebensmotor für Unternehmen von morgen sein.
Aus KonsumentInnensicht wird egoistisch erwartet, dass persönliche Erschwinglichkeit, Bequemlichkeit UND Nachhaltigkeit (allerdings an dritter Stelle) angeboten werden.
Das unterstreicht, dass wir erwarten, dass Unternehmen „Gutes tun“, damit wir nicht auf unseren eigenen Komfort oder dessen Kosten verzichten müssen.
Und gute Taten einer Marke finden nur dann Anklang, wenn sie wiederum einen klaren Vorteil für uns KonsumentInnen haben. Rein altruistische Angebote haben es schwer. Dies bedeutet auch, dass eine Abwälzung der Verantwortung für Nachhaltigkeit an VerbraucherInnen, „das Richtige zu tun“ (z.B. Eigenkompensation von CO2 Impact bei Flugreisen oder Versandoptionen) ins Leere laufen wird.
Auch in der Kommunikation mit WählerInnen müssen Kommunikatoren den persönlichen Einsatz betonen: Die Politik wird in Bezug auf Arbeitsplätze, Rechnungen und die Sicherheit der eigenen Familie formuliert, und nicht als abstrakter gesellschaftlicher Fortschritt.
Klingt kompliziert?
Muss es nicht sein.
Wir müssen kollektive Werte in persönliche Vorteile verwandeln:
Weniger Verpackung = weniger Chaos zuhause
Natur-Kosmetik = besseres Hautgefühl
Bio-Lebensmittel = gesunde Ernährung
Faire Mode = exklusiver Stil
Der Trick liegt im Reframing, wie mein Freund Thomas Klaffke immer schreibt: Die große Idee muss in das kleine Leben passen.
Die Marketingstrategie von Patagonia kombiniert „Doing Good“ mit starkem Identity-Building: “Umweltbewusst” wird dabei zu “cool”, “abenteuerlich” und “wertegetrieben” zum Gefühl von Bergen und Wellensurfen.
Und im Marketing von Too Good To Go wird nachhaltiges Handeln mit besserem Gewissen und günstigerem Essen verbunden. NutzerInnen fühlen sich clever, nachhaltig und profitieren ganz direkt – klassischer „What’s in it for me“-Fit.
Also: Zeig nicht nur, wie man die Welt rettet – zeig, wie sich das auch gut anfühlt und was Menschen selbst davon haben.
Auch Green Marketing muss sich heute dem „What’s in it for me?“ stellen.
Nachhaltigkeit ohne erkennbaren Eigennutzen ist schwer zu verkaufen.
Menschen folgen ihren Idealen nur, wenn sie unmittelbar davon profitieren.
🎬 Fazit
Wir sehen also ein klares Bild einer Welt, die zunehmend von Eigeninteressen regiert wird - eine „Ich-vor-Wir“-Wirtschaft und -Gesellschaft.
Persönlicher Nutzen, Bequemlichkeit und Kosteneffizienz treiben Konsumverhalten.
WählerInnen entscheiden sich immer mehr für KandidatInnen und Themen, die ihre eigenen unmittelbaren Bedürfnisse ansprechen. Das bedeutet, dass erfolgreiche Wahlwerbung auch genau das leisten und beantworten muss: “Was habe ich davon, diese Partei zu wählen”.
Als CMO oder MarketingleiterIn ist es jetzt wichtig, diesen Trend zu verstehen und zu übersetzen: Erfolgreiches Marketing hängt von der Fähigkeit ab, der Zielgruppe einen greifbaren persönlichen Nutzen zu bieten.
Marken, die schaffen, zu vermitteln, „was für mich dabei herausspringt“, können auch in dieser Ära der Unsicherheit Vertrauen und Loyalität aufbauen.
Die Bedienung der „Ego-conomy“ ist in den kommenden Jahren eine Voraussetzung für Marktrelevanz und vielleicht der einzig nachhaltige Weg, um auch eine breitere Wirkung zu erzielen: indem man die Menschen dort trifft, wo ihre Prioritäten liegen.
Und das startet, wie jede erfolgreiche Marketingstrategie, bei einem tiefgehenden Verständnis der Zielgruppe.
Danke fürs Mitlesen,